Running Heals #2 - Dark Woods
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Auf der Suche nach dem Ich
Laufen bewegt. Was uns Menschen zum Laufen bewegt, ist jedoch recht unterschiedlich. Für die einen ist es der Lifestyle, mit trendigen Klamotten durch die City zu cruisen, ein Teil von Etwas zu sein und nach einem knackigen Läufchen ein kühles Getränk in lustiger Runde mit der Crew zu sich zu nehmen. Andere werden davon angetrieben, dass man durch Laufen fit wird und die ungeliebten Pfunde wieder vom Fleische purzeln. Gründe dafür gibt es reichlich.
Meine Gründe passen wahrscheinlich in die tiefste aller Schubladen. Als Selbstständiger immer am Limit hatte ich den Ausgleich in nächtlichen Party Exzessen gesucht. Was die Berliner Partyszene für "Leckereien" zu bieten hat, könnt ihr euch alle vorstellen. Immer hart am Gas habe ich mich selbst verloren.
Grenzen dürfen sich verschieben
Durch einen radikalen Entzug von Alkohol und Drogen lichtete sich langsam der Schleier, der mich umgab. Anfangs brachte mir Crossfit die Erfüllung. Ich fragte mich jedoch: wofür trainiere ich, wenn sich alles nur in einer „Box“ mit vorgegebenen Regeln abspielt. Ich tätowiere schon den ganzen Tag, um dann wieder meine Zeit in einem Betonbunker zu verbringen??
Die nächste Station fand ich zum Glück in einer Berliner Run Crew. Mega nette Leute, chilliges Miteinander und das beste internationale Netzwerk. Aber irgendwie fehlte mir auch hier etwas, das gewisse Etwas, das Salz in der Suppe. Immer wieder die gleichen Abläufe und Distanzen. Der Marathon als Non Plus Ultra war nix für mich. Ich wollte an meine Grenzen gehen, improvisieren und das Gefühl haben zu Leben.
In dem Moment habe ich gemerkt, dass es nicht das Laufen allein war, was mich motiviert hat. Laufen hatte ich bis dahin immer mit der Community verbunden: zusammen laufen, schwitzen und zusammen ankommen.
Läufe, die ich dann Sonntags immer zusammen in einer Crew gemacht hatte, wurden länger und ich musste früher raus. Immer weniger Leute liefen mit. Wer steht auch schon gerne Sonntagmorgen um 0600 auf, um in den kalten Wald zu fahren.
Aus 15k wurden dann 20, 25, 30k. Ob Regen, Schnee, warm, kalt. Meine Sonntagsläufe wurden zum Ritual, um mich nach einer langen Arbeitswoche wieder zu spüren. Genau das ist es, was ich mit dem Laufen verbinde: egal wie schnell oder langsam, einfach das Gefühl mich zu spüren. Ich hatte gemerkt, dass ich Erfüllung darin gefunden hatte, nach einem langen Lauf kalt, nass, dreckig und richtig abgefuckt zu sein.
Wo die meisten aufhören, fing ich jetzt erst an den Lauf zu geniessen: die Stille im Wald in den Morgenstunden und um 1100 mit 30 Kilometern in den Beinen zu Hause sein. Unbezahlbar.
Dark Woods Adventures
Meine Sonntagsläufe nenne ich liebevoll meine "Dark Woods". Sie sind der Spiegel meines Ich´s und meiner mentalen Verfassung. Durch diese erfahre ich, wie es mir gerade geht. Welche Probleme und Konflikte ich mit mir rumschleppe und was ich mit mir und meinem Schweinehund ausdiskutieren muss. Ich kann euch sagen, in 3 Stunden allein im Wald gibt es eine Menge Stoff zum "diskutieren".
Wir befinden uns in einer Welt, in der die Informationen im Sekundentakt auf uns einprasseln. Wir können diese teilweise gar nicht mehr verarbeiten. Umso wichtiger ist es für mich, mir einen Raum zu schaffen, in dem ich mit mir alleine bin. Ohne Einflüsse von aussen.
Meine Dark Woods geben mir so eine Geborgenheit zu mir zurückzufinden und nicht in diesem Strudel unterzugehen.
Mentale Stärke und Persönlichkeitsentwicklung
Was ich in meiner Zeit als "Leistungssportler" und in der kurzen Zeit als Ultraläufer gelernt habe ist, dass wir uns selber unsere Grenzen setzen und uns blockieren oder sie auch verschieben können.
Genau das liebe ich am Ultralauf. Die Grenzen von Raum und Zeit verschieben sich mit der Intensität vom Training. Was für viele ein Marathon ist, ist auf einmal ein Trainingslauf. 2 Stunden zu laufen ist für dich plötzlich ein "Warm-Up". Das Laufen wird zu einem Mind Game: Wie weit schaffe ich es zu laufen? Was ist weit und geht es irgendwie noch weiter?
Input gleich Output. Trainiere ich kontinuierlich, gleichmässig mit Plan, dann habe ich auch einen guten Ultra Wettkampf. Plane ich mein Equipment und Nutrition sorgfältig, wird’s noch besser. Schaffe ich es meinen Kopf zu überlisten und die Schmerzen zu ignorieren, kann dieser sogar fantastisch werden. Oder auch eine DNF Shitshow (did not finish). Manchmal hilft auch nur Augen zu und durch, ein bissl Punk muss sein.
Mit diesen Tools klappt es auch im richtigen Leben. Probleme bei Bedarf unterbrechen und Stück für Stück angehen, bis der Knoten irgendwann platzt und ich am Ziel bin.
Konfrontation
Ich wünsche mir, dass auch andere es schaffen, ihre Energie nicht in Selbstzerstörung, sondern in ihre persönliche Entwicklung zu kanalisieren. Ihre inneren Stimmen nicht zu ignorieren, sondern zu hören und den Frieden mit diesen zu finden, anstatt davor wegzulaufen. Manchmal hilft es auch sich bewusst zu machen, dass es anderen genau so geht und du nicht alleine mit Problemen bist, du es aber auch packen kannst über dich hinauszuwachsen und die geilste Show für dein eigenes Leben abzuliefern.
Laufen kann ein wunderbares Fortbewegungsmittel sein, um eine paar Stunden Allein oder mit Freunden zu verbringen und Körper und Geist in Balance zu bringen oder sich einfach nur wieder zu spüren.
Abwechselnde Strecken, Uhrzeiten, Distanzen halten deinen Kopf auf Trab und es wird nicht zur stumpfen Routine. Biegt mal in die andere Richtung ab. Lasst es zu, dass ihr euch verlauft und schaut wo die Reise hingeht. Es geht nicht immer um die geilsten Klamotten und die schnellsten Zeiten.
Das Unbekannte zu entdecken kann auch Türen zu einer neuer Welt öffnen. Nehmt euch bewusst Zeit für euch und quält euch auch mal n paar Kilometer mehr, vielleicht bewegt sich dadurch auch etwas in eurem Bewusstsein und ihr könnt darauf aufbauen.
Wir sehen uns in den Dark Woods.
Sven Losinsky ist 42 Jahre alt, lebt in Berlin, ist Tattoo-Künstler mit Schwerpunkt auf japanischen und Old-School Motiven und der Chef vom Good Old Times Studio.