
Interview mit Dariush vom Rettungsschiff Iuventa
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„Ich kann nicht zusehen, wie Menschen sterben – und dann einfach weiterleben“
Fünf Fragen an Dariush, Kapitän der Iuventa
Dariush ist Punker, Aktivist und war einer der Kapitäne der Iuventa, eines zivilen Seenotrettungsschiffes im Mittelmeer. Zwischen 2016 und 2017 rettete die Crew rund 14.000 Menschen. Dann wurde das Schiff beschlagnahmt – und Dariush mit drei weiteren Besatzungsmitgliedern wegen angeblicher Zusammenarbeit mit Schleppern angeklagt. Nach sieben Jahren wurde das Verfahren eingestellt. Ein Gespräch über Rettung, Repression, Verantwortung – und die Frage, wie man in einer ungerechten Welt Haltung bewahrt.
1. Wie kam es zu dem Prozess gegen euch – und was ist der aktuelle Stand?
Im August 2017 wurde unser Schiff, die Iuventa, beschlagnahmt. Angeblich hätten wir mit Schleppern kooperiert. Was folgte, war kein klassischer Prozess, sondern eine sogenannte Vorverhandlung. In Italien ist das wie in einem amerikanischen Gericht: Der Richter entscheidet, ob es überhaupt zu einer Hauptverhandlung kommt.
Normalerweise dauern solche Vorverhandlungen ein paar Wochen. Unsere ging über zwei Jahre – mit fast 50 Anhörungen. Es war die längste Vorverhandlung in der Geschichte Italiens. Aber das hatte auch etwas Gutes: Wir konnten in dieser Zeit zeigen, dass die Vorwürfe haltlos sind. Am Ende stellte der Richter das Verfahren ein.
„Der Richter hat nicht nur gesagt "Keine Hauptverhandlung". Er hat ein 500-seitiges Dokument geschrieben, warum Seenotrettung kein Verbrechen ist.“
Er hat festgehalten, dass jedes Boot auf dem Mittelmeer in Seenot ist – und dass zivile Rettung legal, notwendig und richtig ist. Für uns war das ein enormer Sieg. Aber das Schiff war da schon sieben Jahre beschlagnahmt, verrottet, ausgeplündert. Jetzt klagen wir auf Schadensersatz.
2. Wie war es, wegen Lebensrettung angeklagt zu sein?
Dieser Prozess hat mein ganzes Leben bestimmt. Sieben Jahre lang war mein Alltag geprägt von juristischen Terminen, Anrufen, Unsicherheit. Ich war immer erreichbar. Ich hatte irgendwann gar keine Lust mehr, abends rauszugehen, weil ich genau wusste: In jeder Kneipe fragt mich irgendwer, wie der Prozess läuft. Und ich wollte einfach mal einen Abend ohne.
„Ich war wie in einem Zug mit immer schlechterer Luft – und habe erst gemerkt, wie schlimm es war, als ich wieder draußen war.“
Heute geht es mir besser. Ich warte gerade auf einen Anruf von der italienischen Organisation Mediterranea, um zu einem neuen Rettungseinsatz zu fliegen. Ich mache weiter, weil ich gar nicht anders kann. Ich finde es schlimm, dass es nötig ist – aber wenn es nötig ist, dann will ich es tun.
Und ehrlich: Ich kann nicht sagen, dass ich solidarisch mit Menschen auf der Flucht bin – und gleichzeitig Angst haben, dass ich im Gefängnis lande. Die Leute, die fliehen, riskieren ihr Leben und ihre Freiheit, ohne es zu wollen. Dann kann ich das zumindest ein Stück weit freiwillig mittragen.
3. Warum schaut die Gesellschaft beim Sterben im Mittelmeer weg?
Ich glaube, dass es zu einem großen Teil Rassismus ist. Nicht mal unbedingt absichtlich – aber unterbewusst. Ich bin mir sicher: Wenn auf dem Mittelmeer weiße Menschen in Massen ertrinken würden, wäre das längst ein riesiger Skandal. Aber es sind eben nicht-weiße Menschen. Und das macht den Unterschied.
„Wenn ich erzähle, dass bei einem Einsatz ein Mensch gestorben ist, sind alle betroffen. Wenn ich sage: 10.000 Menschen sind ertrunken, schalten die Leute ab.“
Zahlen machen es abstrakt. Und ich glaube auch: Viele Menschen ahnen, dass ihr eigenes Leben mit diesen Toten zu tun hat. Dass unser Wohlstand nicht ohne Ausbeutung funktioniert. Dass unser Reichtum auf Leichenbergen steht, wie Hagen Rether mal gesagt hat.
Aber das will niemand hören. Also beschäftigt man sich lieber nicht damit. Ich glaube, viele Menschen halten das psychisch nicht aus. Wenn du einmal anfängst hinzusehen, siehst du überall Ungerechtigkeit – in der Schokolade, im Benzin, in der Kleidung, im Handy.
4. Was können Menschen tun, wenn sie nicht selbst aufs Mittelmeer fahren können?
Nicht jeder kann aufs Schiff – aber jede*r kann helfen. Ich finde: Wenn jemand Geld hat, sollte er oder sie damit die Menschen unterstützen, die sich auf den Weg machen. Ich habe fast alle meine Einsätze selbst finanziert. Nicht weil das normal sein sollte – sondern weil ich es mir leisten konnte.
„Jeder hilft mit dem, was er oder sie kann. Einer hat ein Schiff – der andere hat Geld. Dann ist doch klar, wer wem den Flug bezahlt.“
Im Moment unterstützen wir nicht nur unsere eigene Arbeit. Die Hälfte aller Spenden, die wir als ehemalige Iuventa-Crew einnehmen, geht an selbstorganisierte Flüchtlingsgruppen, zum Beispiel Refugees in Libya. Die haben oft viel weniger Aufmerksamkeit – aber brauchen sehr dringend Ressourcen.
Und natürlich hilft auch Aufmerksamkeit. Leute müssen wissen, was da passiert. Sie müssen verstehen, dass das Mittelmeer eine tödliche Mauer ist – finanziert, gewollt und verteidigt von europäischen Regierungen.
5. Was bleibt – persönlich und politisch?
Ich bin Punk. Ich glaube nicht an große Zukunftsversprechen. Aber ich habe Hoffnung, dass sich Gesellschaft verändern kann – durch Empathie. Das ist mein Motor. Ich wünsche mir eine Gesellschaft, die sich berühren lässt vom Leid anderer.
„Ich will, dass Leute sich berühren lassen – nicht wegschauen.“
In den letzten Jahren hat sich was bewegt. Heute sprechen viel mehr Menschen über Lieferketten, ökologische Kleidung, Fluchtursachen. Auch wenn noch viel schief läuft – es ist mehr Bewusstsein da.
Ich selbst werde weitermachen. Ich fahre wieder aufs Mittelmeer, so oft ich kann. Nicht, weil ich ein Held bin – sondern weil ich es nicht aushalte, nichts zu tun. Und ich habe gelernt: Die Solidarität, die wir erfahren haben, war unglaublich. Ich will davon etwas zurückgeben. Und anderen Mut machen, auch aktiv zu werden.
Wir empfehlen dir, die bewegende Stellungnahme von Dariush zu lesen, welche er vor Gericht während des Gerichtsprozesses abgegeben hat. Hier kannst du sie lesen oder hören: LINK
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